DIE OPTIMALE WETTKAMPFWOCHE - ERNÄHRUNGSTIPPS VOR DEM WETTKAMPF

 

„Manchmal frage ich mich, ob ich so viele Kilometer laufe, damit ich mir auch mal etwas richtig Fettes und Leckeres gönnen kann, oder ob ich so etwas esse, damit ich so viele Kilometer laufen kann.“ (Bill Rodgers, mehrfacher Boston- und NYC-Marathongewinner)

Du hast monatelang intensiv trainiert, deinen Trainingsplan befolgt und alle vorgegeben Einheiten brav erledigt und abgehakt. Du hast gesund gelebt, auf einige Verführungen verzichtet und endlich ist es soweit – noch eine Woche bis zu deinem großen Wettkampf. Deine Form ist gut und du gehst in die letzte Woche mit einem stark reduzierten Trainingsumfang. Durch Training kannst du jetzt nichts mehr herausholen, was dich deinem Ziel, deiner neuen Bestzeit näherbringt. Aber es gibt eine Stellschraube, mit der du noch dazu beitragen kannst, deine erworbene Leistungsfähigkeit bestmöglich abzurufen – oder auch genau das durch Fehler zu verhindern: deine Ernährung in der Woche vor und während des Wettkampftages.

Dass du mit einer gesunden Ernährung allgemein körperlich fitter und leistungsfähiger bist, ist eine Binsenweisheit. Dass mit der richtigen Ernährung dein Training besser funktioniert und du dich schneller von Belastungen erholst, weißt du auch. Aber kannst du mit ein paar gezielten Ernährungstipps noch ein paar Prozent mehr Leistung herausholen?

Klar, „anfuttern“ kannst du dir deine neue Bestzeit nicht. Dafür braucht es neben dem richtigen Training noch viele Bausteine, von denen ein nicht unwesentlicher die Ernährung ist, weil sie uns ja die Energie für unseren Sport bringt. Für die Muskelarbeit benötigt unser Körper Adenosintriphosphat (ATP), das er aus der Verbrennung von Kohlenhydraten (Glykogen) und Fetten gewinnt, wobei er die Glykogenverbrennung bevorzugt, da sie mehr Energie liefert und effizienter ist. Mit den Kohlenhydraten läufst du nicht schneller, aber du kannst die Intensität leichter halten. Während selbst schlanke Menschen Fett in einer Menge gespeichert haben, die für wochenlange Belastungen und mehrere Marathons reichen würde, können wir aber nur ca. 500g Glykogen speichern. Das genügt für einen normalen Tag, bei starker körperlicher Belastung wie einem Laufwettkampf aber nur für ca. 90 Minuten. Das ist natürlich viel zu kurz für einen Marathon oder gar einen Ultralauf und selbst bei einem Halbmarathon sind nur die schnelleren Läufer schon im Ziel.

Bei vielen Marathonläufern kommt irgendwo zwischen km 30 und 35 der gefürchtete „Mann mit dem Hammer“, wenn das Glykogen verbraucht ist und sie sehen ihre Traumzeit davon schwimmen. Diesen Moment gilt es durch einen möglichst vollen Tank mit dem Superbenzin Glykogen so weit wie möglich nach hinten zu verschieben.

 

 

Die Saltin-Diät als ideale Vorwettkampfernährung?

Bereits Ende der 60er Jahre entwickelte der schwedische Sportwissenschaftler und Mediziner Saltin eine Diät für Leistungssportler im Ausdauerbereich, mit der man nachweislich die Glykogenspeicher vor einem Wettkampf auf 125% übervoll „beladen“ kann. Seitdem gehören das „Carboloading“ und die seit dieser Zeit eingeführten Nudelpartys am Wettkampfvorabend zum guten Ton. Die Saltin-Diät geht aber weit darüber hinaus und ist wegen ihrer extremen Ausprägung allerdings nicht für jeden Sportler geeignet. Sie funktioniert so: Mit einem langen „Erschöpfungslauf“ in der Taperingphase (am Sonntag vorher) sollen die Glykogendepots entleert werden. Der Körper hätte diese jetzt gerne wieder aufgefüllt, aber man tut ihm diesen Gefallen nicht. Von Sonntag bis Mittwoch in der Wettkampfwoche (bei Wettkampftag Sonntag) wird so weit wie möglich auf Kohlenhydrate verzichtet, d.h. nur Lebensmittel mit weniger als 2% Kohlenhydratanteil dürfen verzehrt werden, also keine Nudeln, Reis, Kartoffeln, Brot, Obst,… Da die Nahrungsaufnahme insgesamt aber nicht reduziert werden soll, gibt es stattdessen verstärkt Fette und Eiweiß. Am Mittwoch wird dann mit einer relativ intensiven Intervalleinheit der Körper nochmal komplett glykogenentleert, so dass er den Kohlenhydraten entgegenfiebert. Diese bekommt er jetzt wieder: es folgt eine „Kohlenhydratmast“ bis zum Vorwettkampftag bei verringerten Trainingsumfängen. Durch diesen erlittenen Glykogenmangel bringt man seinen Körper dazu, das jetzt üppige KH-Angebot zu nutzen und vorsorglich mehr Kohlenhydrate abzuspeichern als vor der Saltin-Diät. Wegen dieser Glykogennot speichern die Muskeln und die Leber bis zu 25% mehr vom begehrten Treibstoff ein, was sich positiv auf deine Rennperformance auswirken soll.

 

Kritik an der Saltin-Diät

Einige Sportler reagieren auf die extremen Wechsel in der Nährstoffversorgung mit Verdauungsproblemen. Da sie aber – sofern man sie gut verträgt – nachweislich den gewünschten Effekt bringt, wird sie auch von Spitzensportlern immer noch praktiziert, z.B. von den Hahner-Zwillingen[1]. Meiner Meinung nach ist sie nicht für jeden geeignet, braucht etwas Erfahrung und ein starkes Nerven- und vor allem Verdauungskostüm. Problematisch kann die psychische Belastung für den Läufer sein. Durch die leeren Glykogenspeicher fühlt man sich im Training sehr schlapp, nicht wenige bekommen Angst um ihre Form und Leistungsfähigkeit.
[1] http://www.hahnertwins.com/de/ernaehrung/62-saltin-diaet

 

Varianten spezieller Vorwettkampfernährung bei sehr langen Distanzen

Für 10 km- und Halbmarathonläufer braucht es keine spezielle Diät, auch wenn viele für den HM länger als 90 Minuten brauchen. Bei längeren Wettkämpfen kann diese aber Vorteile bringen.

Für spezielle Vorwettkampfernährung gibt es mehrere Varianten:

Die wirksamste, aber auch riskanteste ist die oben beschriebene Saltin- oder Schwedendiät. Sie hat aber nichts mit Gewichtsreduktion wie die „fit for fun-Frühlingsdiät“ zu tun, um mit bestmöglicher Figur an der Startlinie zu stehen (das tust du nach der Marathonvorbereitung ohnehin). Vielmehr ist sie ein harter, für Leistungssportler entwickelter Ernährungsplan, der deinen Körper künstlich in einen für ihn unangenehmen Mangel versetzt und ihn so dazu treibt, möglichst viele KH einzulagern, um diesen Zustand zu vermeiden.

Es funktioniert aber auch ganz einfach, sich wie gewohnt zu ernähren und in den letzten 3 bis 4 Tagen die KH-Zufuhr in der Nahrung auf mindestens 70% zu erhöhen. Auch damit werden die Speicher gefüllt, es findet lediglich keine Superkompensation statt. Dieses Vorgehen reicht für Distanzen bis zum Halbmarathon oder - je nach Trainingszustand - auch länger aus. Wenn du nicht zu den ganz Schnellen gehörst, profitierst du zudem mehr von der Nahrungsaufnahme während des Rennens und kannst auch so gut bestehen. Es gibt auch viele Läufer, die sich wie gewohnt ernähren, sich dann am Vorabend den Bauch mit Pasta vollschlagen und es so fast schaffen, ihr Startgeld wieder reinzuholen J. Das Füllen der Speicher dauert jedoch mindestens 48 Stunden, sollte also schon vorher beginnen.

Ich selbst bevorzuge eine modifizierte Saltin-Diät, da ich mit der Reinform nicht zurechtkomme. Am Samstag in der Vorwettkampfwoche mache ich meinen letzten langen Lauf (langsam, ohne Tempoverschärfung, nicht erschöpfend), verzichte danach aber nicht völlig auf Kohlenhydrate, sondern reduziere sie nur und erhöhe Fette und Eiweiße. Ab Mittwoch erhöhe ich dann den KH-Anteil in der Nahrung stark bis zum Wettkampf. Mit dieser Trainings-/ Ernährungskombination habe ich sehr gute Erfahrungen gemacht.

 

 

Meine letzte Woche vor dem Wettkampf sieht dann so aus:

Samstag
Training: langsamer 35 km-Lauf. Dieser Lauf dient nicht mehr der Ausdauer-verbesserung, sondern soll diese nur noch erhalten, also: laaaangsam, kann auch kürzer sein, wenn’s nicht flutscht.
Ernährung: wie gewohnt. Wer es kann: Lauf als Nüchterntraining am Morgen, danach nochmal wie in den Vorwochen gewohnt essen

Sonntag
Training: ruhiger, regenerativer Dauerlauf (ca. 1 Std., kann auch kürzer sein)
Ernährung: KH-Reduktion, viel Eiweiß und Fett

Montag
Training: Intervallläufe, aber jetzt nicht mehr, um schneller zu werden, sondern um das Marathonrenntempo (MRT) rasch zu treffen und zu halten, z.B. 3 x 3000m oder 4 x 2000m im MRT. Dabei darf die Pause zwischen den Intervallen ruhig länger sein als sonst, weil ich mich nicht verausgaben möchte.
Ernährung: KH-Reduktion, viel Eiweiß und Fett

Dienstag
Training: Pause
Ernährung: KH-Reduktion, viel Eiweiß und Fett

Mittwoch
Training: nochmals MRT-Intervalle, aber kürzer und häufiger, z.B. 6 x 1000m (erst am Ende des Intervalls auf die Uhr schauen), wieder um bei der Tempofindung sicherer zu werden und am Renntag blind das Anfangstempo möglichst exakt zu treffen.
Ernährung: zum letzten Mal wenig KH, viel Eiweiß und Fett

Donnerstag
Training: Pause
Ernährung: Carbo-Loading (KH-lastig)

Freitag
Training: regeneratives Traben 3-5 km mit drei kurzen, lockeren Steigerungen, erholen und Kraft sammeln
Ernährung: Carbo-Loading (KH-lastig)

Samstag
Training: Nach dem Frühstück nochmal 3 km locker traben (mit drei Steigerungen)
Ernährung: das Carbo-Loading ist abgeschlossen: Essen, was gut tut und nicht zu schwer ist. Mein Tipp: Pizza mit gesunder Auflage

Sonntag
Wettkampf
Ernährung: Vorräte wieder auffüllen
 

Meine Erfahrung mit der Saltin-Diät

Ein Selbstversuch mit der Saltin-Diät hat mir gezeigt, dass sie in Reinform für mich nicht so geeignet ist. Mir ist die mentale Verfassung vor dem Start sehr wichtig. Besonders die letzten Wochen der Marathonvorbereitung haben viel an Kraft gefordert, da ist es für mich deprimierend, wenn ich die leichten Intervalle am Montag und Mittwoch der Vorkampfwoche „auf dem Zahnfleisch“ absolviere.  Auch wenn ich sonst ein Fan von Nüchterntraining bin: Mit etwas KH geht das letzte Training leichter, die nur leicht angefüllten Speicher werden beim Trainieren sowieso gleich wieder geleert. So kann ich so mein Marathonrenntempo noch einmal besser einüben, was ja der Sinn dieser Einheiten ist und ohne Energie eben bei mir nicht so gut geht. Die reinen Fett-Eiweiß-Tage haben bei mir außerdem Durchfall hervorgerufen. Die zwei letzten, eigentlich einfachen Trainingseinheiten waren niederschmetternd und haben bei mir Zweifel erzeugt, ob ich wirklich das richtige tue. Auch wenn ich mir selbst rational erklären kann, woran die Energielosigkeit liegt, blieb bei mir trotzdem das Gefühl der Unsicherheit. 

 

 

Dagegen geht es mir sonst in der Vorwoche - wie wahrscheinlich bei vielen anderen Läufern auch - so, dass ich voller Vorfreude mit den Hufen scharre, mich bei den Tempogefühleinheiten sehr bremsen muss, um nicht zu überziehen und selbstbewusst und „heiß“ in den Wettkampf gehe. Und dieses tolle Gefühl ist für mich wichtiger als ein paar Prozent mehr Superkompensation. Aber hier tickt jeder anders und bei vielen anderen funktioniert es sicher reibungsloser… einfach ausprobieren. Für mich jedenfalls passt die „entschärfte“ Variante besser.